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Olaf Stapledon

Die Letzten und die Ersten Menschen


 
»Die Letzten und die Ersten Menschen« von Olaf Stapledon


Besprochen von:
 
Detlef V.
Deine Wertung:
(1.5)

 
 
Mit der Frage „Wie sieht die Zukunft der Menschheit aus“, haben sich im Verlauf der Jahre nicht nur SF Autoren, sondern auch deren Leser beschäftigt. Würde man diese Frage heute stellen, gäbe es vermutlich nur eine Antwort: „Die Zukunft der Menschheit liegt im Weltraum“. Diese Antwort ist dabei weniger auf Träumerei zurückzuführen, sondern beruht vielmehr auf der Tatsache, dass die Ressourcen unserer Welt irgendwann ausgeschöpft sind und der Lebensraum begrenzt ist. Unsere Welt ist krank, siecht dahin – die Meere sterben, die Wälder werden gerodet, die Polkappen schmelzen und das Wetter schlägt Kapriolen. Von daher ist es eigentlich nur logisch wenn man behauptet, dass die Gegenwart der Menschheit auf der Erde, die Zukunft jedoch im Weltraum liegt.

Zu einem völlig anderen Ergebnis kam der englische Schriftsteller Olaf Stapledon. Oder sollte ich schreiben ein Mitglied der 18. Menschheit, dass seinen Geist aus der Zukunft über Milliarden von Jahren in den Körper Stapledons hineinprojiziert hat und diesen dazu anleitete den „Lebenslauf der zukünftigen Menschheit“ nieder zu schreiben? Quasi als Testament einer im Untergang befindlichen fernen Menschheit. So steht es in der Einleitung. Und diese ist wirklich gelungen.

Der Schreiber dieser Einleitung erinnert an einen Jahrmarkdirektor, der seine staunenden Zuschauer auf sein Kuriositätenkabinett einstimmt. „Hereinspaziert meine Damen und Herren. Lernen sie die dreiäugige Frau kennen oder den Fischmann, halb Mensch halb Tier, der in den Sümpfen Nordenglands jahrelang sein Unwesen trieb. Lernen sie die Angehörigen der 14. Menschheit kennen und erfahren sie alles über den Kampf mit den Marslebewesen.“

Obwohl das vorliegende Buch gemeinhin als Klassiker bezeichnet wird (und Stapledon ihm seinen Ruf als großer Visionär verdankt), vermag mich der Roman weder zu faszinieren noch zu überzeugen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Ich wage mal die Behauptung, dass, wenn Stapledon dieses Werk in der heutigen Zeit geschrieben hätte, es ein großer Reinfall geworden wäre. Es liest sich wie ein antiquierter Soziologiebericht, furztrocken und dröge. Hier merkt man dem Autor an, dass er zwar ein Doktor der Philosophie, aber halt kein Schriftsteller ist.

In seinem 1930 erschienenen Buch Die ersten und die letzten Menschen (OT: Last and First men), sieht Stapledon die Zukunft der Menschheit (fast) ausschließlich auf der Erde. Erst kurz vor dem Untergang der Menschheit, Millionen Jahre in der Zukunft, wandert diese von der Erde erst auf die Venus und später auf den Neptun, aus (aber nur notgedrungen).

Technische Aspekte, die für uns heute schon unverzichtbar sind, wie etwa eine weltweite Vernetzung und Kommunikation, künstliche Intelligenz oder Raumfahrttechnik, kommen in seiner Geschichte nur oberflächlich vor. Klar, es werden Fortschritte erzielt, aber diese werden nur in ein, zwei Worten erwähnt, bevor Stapledon dann wieder mit seitenlangem Lamentieren über philosophische, ethnische, kulturelle, soziologische, politische und geistige Probleme langweilt (sorry).

Erst in 500 Millionen Jahren (!!!) schafft es der Mensch mit Raumschiffen die Erde zu verlassen und sich auf der Venus anzusiedeln. Bis dahin hat sich die Menschheit zwar kurz mit einer Invasion von Marswesen (einem geistigen Kollektiv) auseinander zu setzen, aber noch nicht im Traum daran gedacht, mal den näheren oder weiteren Weltraum zu erkunden. Gab es etwa 1930 noch nicht die Sehnsucht nach den Sternen und hat es Stapledon darum unterlassen der Menschheit diesen Schritt zuzutrauen?

Die Anfänge des Buches sind noch durchaus interessant. Man kann Vergleiche ziehen, zwischen dem was wirklich bis zum Jahr 2016 geschehen ist und dem, was Stapledon sich so vorgestellt hat. Oftmals lag er mit seinen „Prognosen“ goldrichtig. So prophezeit er einen europäischen Krieg, eine Art Völkerbund und ein starkes Deutschland das sich, auch durch einen aggressiven Export, zum Wortführer Europas aufschwingt (bevor Europa dann durch einen Krieg mit Amerika vollständig vernichtet wird).

Religiöse Konflikte, wie die, die heutzutage die Welt erschüttern, sieht Stapledon jedoch noch nicht. Die Religionen scheinen in Eintracht zu leben. Erst Tausende oder gar Millionen von Jahren später treten diese „Religionskriege“ vermehrt auf. Allerdings hat sich der Begriff Religion in der Zeit so gedehnt, dass er nicht mehr mit dem heutigen gleichzusetzen ist und sich u.a. in dem Glauben an GROTEPOL, eine Art Anbetung an Energie und Bewegung, niederschlägt.

Ferner liefert Stapledon höchst krude und kaum nachvollziehbare weitere Begebenheiten, wie etwa die, dass die Führung der ersten halbwegs geeinten Menschheit dadurch entschieden wird, wer mit welcher Frau als erstes schläft. Auch hat jeder Mensch irgendwann ein eigenes Flugzeug. Und ein Mann ist nur der, der besonders gut fliegen kann. Kinder und Neugeborene werden aus Flugzeugen geworfen. Wer dies überlebt (aus welchem Grund auch immer), hat ein Recht darauf weiterzuleben, die anderen haben halt Pech gehabt. Nun ja, wer so etwas unter visionärer SF versteht, wird zufrieden sein. Für mich sieht visionäre SF im Jahr 2016 allerdings anders aus.

Erstaunlich ist auch, dass selbst nach Tausenden von Jahren für die Juden noch die alten Vorurteile gelten. Diese sind auch in ferner Zukunft immer noch die geldgeilen Buhmänner, wie sie uns bereits vom Dritten Reich untergejubelt werden sollten. Kein Wunder also, dass manche Leute in dem Werk Stapledons auch eine gehörige Portion Rassismus entdecken.

Sobald die Geschichte immer weiter in die ferne Zukunft schweift, werden die Zeitsprünge größer. Dann vergehen auch schon mal ein paar Millionen Jahre bevor uns der Autor wieder am Geschehen teilhaben lässt. Eine Menschheit vergeht, die nächste kommt, rottet sich wieder mal gegenseitig aus und die nächste Menschheit formt sich neu. Insgesamt geschieht dies 18 mal. Immer sind die Umstände des Niederganges die gleichen: Neid, Hass und Gewalt. Oftmals überleben nur wenige Exemplare der Gattung, aber selbst aus einem halben Dutzend der letzten Überlebenden entwickelt sich eine neue Menschheit (die armen Frauen).

Obwohl die Ressourcen der Erde völlig erschöpft sind, entsteht eine (Super)Zivilisation nach der anderen. Wo die Ressourcen dafür herkommen erfährt der Leser nicht, denn ALLES bleibt IMMER sehr oberflächlich. Energie gewinnt man durch Sonne, Wasser und Erdwärme, aber die Anlagen dafür müssen ja auch erst einmal gebaut werden. Aber womit? Statt dessen wieder seiten- und kapitellange Exkurse in Sachen Soziologie, Kultur, Ethik, Politik, usw.

Die unpersönliche Note des Buches, Individuen oder Menschen mit denen man sich identifizieren könnte gibt es nicht, trägt nicht zum Lesegenuss bei. Es wird alles aus der Sicht der Menschheit geschrieben – kollektiv, nicht individuell. Auch die immer wieder vergehenden Jahrmillionen, in denen sich die Menschheit so gut wie gar nicht weiterentwickelt und zu stagnieren scheint, sind in Anbetracht dessen was die Menschheit bisher in 2000 Jahren geschafft hat, überaus unlogisch.

Leidlich interessant sind die vielen neuen Unterarten und das Aussehen der zukünftigen Menschen. Durch Umwelteinflüsse, z.B. nach der Aussiedlung auf die Venus und auf den Neptun, aber auch durch verschiedene genetische Züchtungen, haben sich viele Menschen zu Tieren, wie Vögel oder Wasserbewohner, zurück- bzw. weiterentwickelt. Ihr „neues“ Aussehen ist nur noch entfernt mit unserem vergleichbar. Zumindest hier hat Stapledon eine überbordende Phantasie an den Tag gelegt. Hätte er das doch nur öfters getan.

Irgendwann, Milliarden Jahre in der Zukunft, entdecken die letzten Menschen eine Art Zeitreise, jedoch keine körperliche, sondern eine geistige. Es gelingt ihnen, ihren Geist in den Körper eines jeden vor ihnen lebenden Menschen zu transferieren und sich so mit ihm auszutauschen. Auf diese Art konnte auch der eigentliche Erzähler der Geschichte, das Mitglied der 18. und letzten Menschheit, mit Olaf Stapledon verschmelzen und so das Testament der Menschheit schreiben lassen. Warum er sich allerdings das Jahr 1930 dafür ausgesucht hat, wäre interessant zu erfahren.

Fazit:
Wer eine visionäre Utopie (oder Dystopie) erwartet, in der die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist und dort viele wundervolle und phantastische Dinge entdeckt hat, wird enttäuscht werden. Wer sich jedoch an einer spröden und kopflastigen Future History begeistern kann liegt hier goldrichtig. Mir hat es leider nicht sonderlich gefallen.
 


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